Rückblick auf den 2. Workshop am 8. Feb. 2014
Der zweite Workshop leitete als Fortführung des ersten und als Hinführung zum dritten Workshop den Übergang vom Allgemeinen zum Besonderen, vom Abstrakten zum Konkreten ein. Der Möglichkeitsraum wurde nochmals in seiner ganzen Offenheit und Unbestimmtheit erfahren, der freie Gedankenaustausch wurde gepflegt und kam dabei unverkennbar auch an seine Grenzen: Die im ersten Workshop bewusst hergestellte Ambivalenz wirkte deutlich nach und nahm noch zu – es wurde eine starke Verunsicherung spürbar in Bezug auf die Aufgaben und Ziele des Projekts. Angesichts der Ungewissheit drängten sich Fragen auf und wurden explizit: Was genau erforschen wir eigentlich, wie nähern wir uns unserem Gegenstand an und zu welchem Ergebnis wollen wir kommen? Was hat das eigentlich mit Kunst zu tun?
Die Teilnehmer vergewisserten sich in einer ersten Rückbesinnung auf den ersten Workshop ihrer Fähigkeiten und ihrer Möglichkeiten. Im bewusst unmoderierten Gespräch entfaltete sich wie von selbst eine Bestandsaufnahme, bei der die Heterogenität, aber auch die Qualität und das Potenzial der Gruppe spürbar waren. Es galt, angesichts der Unwägbarkeit unseres Tuns nicht den Mut zu verlieren und darauf zu vertrauen, dass unsere Fähigkeiten, unsere Interessen und Motivationen zu etwas führen - uns auf etwas stoßen, das wir noch nicht kennen. Wir bewegten uns deutlich spürbar auf unbekanntem Terrain. In solchen Momenten gilt es, die Sinne zu schärfen für das, was ist und worauf wir vertrauen können.
Das Thema „Musik und Klang“ war dabei ein hilfreicher Kompass, denn beim Ab-Sehen von Bekanntem und beim Ein-Stimmen in das Hör- und Fühlbare übten wir uns in der Wahrnehmung innerer und äußerer Prozesse, die uns begegnen und durchdringen. Es ereignete sich eine gesteigerte Aufmerksamkeit beim langsamen Voranschreiten in geistig-seelischen Zonen, die keine Namen haben und keine Begriffe kennen. Wir spürten jenseits unseres Wissens und Wahrnehmens eine Energie, die unsere Neugierde mehr und mehr anregte. Wir gingen in Resonanz zum Unbekannten und wurden dabei selbst Musik.
Natürlich konnten wir uns bei aller poetischen Inspiration nicht ganz von herkömmlichen Begriffen und Kategorien frei machen – doch schien da etwas Unbestimmtes auf und klang beinahe unvernehmbar aus der Ferne, was die sprachliche Arbeit hart an die Grenze des Sagbaren trieb. Bedeutungen lösten sich auf, formierten sich neu, Inhalte waren nicht mehr definiert, sondern verflüssigten sich. Konturen verschwammen und setzten sich neu zusammen. Was berührte uns da? War es Halluzination, Täuschung oder Erkenntnis? Im wilden Gemenge der Meinungen, Strebungen und Begriffe begannen wir uns aufs Neue als Personen wie als Gruppe zu formieren. Wir nahmen die Leere hinter dem Unvermuteten an und entdeckten darin uns selbst in unserer Freiheit – im variablen Rahmen unserer Möglichkeiten. So erkannten wir uns und fingen jetzt erst eigentlich mit uns und unserer Arbeit an.
Diese eher unbewusst ablaufenden Vorgänge nahmen an der Oberfläche erhellende und Aufhorchen lassende Formen an: Wir tauschten uns aus über die Möglichkeiten der Musik im Hinblick auf Innovation, diskutierten über Musik als vielleicht einzige Kunstform, die unmittelbar die Gefühle bewegt, übten uns in phänomenologischen Betrachtungen, reflektierten die Bedeutung des Flow-Zustands für die kreative Praxis und loteten am Beispiel der Lyrik die Beziehungen und Unterschiede der Musik zu anderen Kunstformen aus.
Alessandra Brisotto:
Die Musik des Blickes
Die Musik des Blickes,
in meinen unermesslichen Zellen
zwischen den jungen Lippen und der antiken Hand
weit weg von mir
von meinem Geben,
springt alt und Säugling
wie Gras
La musica dello sguardo
La musica dello sguardo,
nelle mie cellule immense
tra le giovani labbra e le antiche mani
lontano da me
dal mio donare,
salta vecchia e neonata
come erba
Bei alledem verging die Zeit schneller als gedacht. Wir erkannten, dass jetzt der Moment gekommen ist, uns in der noch verbleibenden Zeit dem Konkreten, Reproduzierbaren und Festhaltbaren zuzuwenden.
Die vorherigen, wie im Flug vergangenen Gespräche hatten den bemerkenswerten Effekt, dass sie – im Nachhinein betrachtet - die nächste Phase vorkonfigurierten, ohne dass wir dies angestrebt hätten.
Hier scheint ein Forschungsgegenstand auf, dem wir uns zu gegebener Zeit noch genauer widmen sollten: Es gibt eine Selbsttätigkeit des Geistes, die im freien, offenen Austausch unter Menschen ideale Bedingungen vorfindet und die sich – sofern man ihr genügend Raum gibt – mit reichen Impulsen in uns rührt und durch uns zum Ausdruck kommt. Der Mensch als „Klang-“Körper für einen geistigen Raum, dessen Resonanz sich unter anderem in Sprache, Musik und Klang niederschlägt. Der Geist kondensiert quasi im dialogischen Prozess. Vielleicht könnte man so Inspiration verstehen lernen.
Konkret hatten wir die Eingebung, die weiteren Betrachtungen auf drei Fragestellungen zu fokussieren: Was kann Musik in Zukunft (sein)? Wie arbeitet ein Musiker? Und: Was können Musik und Klang bewirken? Damit kamen drei Aspekte kommender Auseinandersetzungen und damit mögliche Fokussierungen in den Blick - theoretisch, methodisch und praktisch.
Im Übergang zur und als Einstimmung in die Bearbeitung dieser Aspekte brachten wir – einer spontanen Eingebung folgend - die Zentrifuge als den uns gegebenen und umgebenden Raum zum Klingen: Durch Klopfen, Schlagen, Streichen, Zupfen, Klatschen, Ziehen, Drücken, Drehen, Dehnen und viele weitere Bewegungs- und Berührungsvariationen erzeugten wir Resonanzen mit vorhandenen Gegenständen im Raum. Ein zentrifugales Orchester entstand wie aus dem Nichts.
Was kann Musik in Zukunft (sein)?
Bei der Frage, was Musik in Zukunft (sein) kann, lag eine – wenigstens skizzierte - historische Einführung nahe. Umrisshaft wurde die Musik als ein sich über Jahrhunderte hinweg eher langsam und konventionell entwickelndes System erkennbar, das seit dem 20. Jahrhundert dynamisch ausdifferenziert wurde – bis hin zu Dekonstruktion, Neukonfiguration, Entfremdung und Auflösung.
Die „klassische“ Musik begab sich in immer komplexere, „Musik“-fernere Sphären und wurde zunehmend hermetisch. Parallel dazu überflutete eine eingängige „leichte“ Musik als Konsumgut den medial vermittelten Klang- und Bewegungsraum: Musik als Glücks-Vortäuscher und Anästhetikum. Hinzu kommt die Erweiterung der musikalischen Möglichkeiten durch Computer und Internet.
In dieser Gemengelage scheint es zwei Hauptströmungen zu geben: Musik als Konsumgut, das der Ablenkung und Betäubung zugunsten des Profits dient und einem Starkult huldigt. Und Musik als für das ungeschulte Ohr befremdlich wirkender Ausdruck bewusster Gestaltung jenseits eines massenpsychologisch kalkulierten Personenkults – ganz dem Experiment, dem interkulturellen Austausch und den technischen Möglichkeiten zugeneigt.
Vielleicht befinden wir uns gegenwärtig an der Schwelle zu einem neuen System der Musik, das sich im und durch das Netz entfaltet und im Austausch und in Abgrenzung mit weltweit erzeugten Klängen, Sounds und Instrumentierungen ganz neue Hörerlebnisse und damit auch Zustände des In der Welt Seins ermöglichen wird. Die Aufmerksamkeit und das geschulte, bewusste Hören bis hin zu technischen Erweiterungen des Gehörs (Implantate, Frequenz-Wandler, Sonification) werden neue Wahrnehmungen schaffen, tiefe Identifikationen, aber auch Differenzierungen und damit Erkenntnisse ermöglichen und damit elementar an Bedeutung gewinnen.
Vielleicht steht eine Metamorphose der Musik überhaupt an, sofern sie sich als zutiefst berührende und geistig-emotional tragende Kunstform entpuppt, die weit mehr transportiert als „nur“ Klang, Bewegung und Rhythmus. Musik ist vielleicht DIE Sprache der Zukunft. Musik als künftige Heimat des global zu sich und zur Welt kommenden Menschen. Welt als Musik.
Wie arbeitet ein Musiker?
Bei der Betrachtung des kreativen Prozesses unter der Fragestellung „Wie arbeitet ein Musiker?“ wurde schnell klar, dass sich die Fragestellung auf alle möglichen kreativen Prozesse übertragen lässt. Auch ist dabei offen, ob der Prozess individuell oder kollektiv zu verstehen ist, da er sich immer schon in einem kommunikativen Raum abspielt und somit zwischen den Polen „Individuum“ und „Gruppe“ changiert. Die im kapitalistischen System zentrale Frage nach dem Urheber stellte sich in unserem rein auf Erkenntnis und Innovation ausgerichteten Kontext nur am Rande, bleibt aber natürlich präsent angesichts potenzieller Verwertungsansprüche im Hinblick darauf, was zu entwickeln ist, um die Welt eben gerade von blinden, gewaltsamen, fehlgesteuerten, fremdbestimmten und ohnmächtigen (Verwertungs-)Zusammenhängen zu befreien.
Der kreative Prozess wird ermöglicht durch eine Vielzahl von Faktoren, die in unterschiedlichen Phasen mehr oder weniger stark aufeinander einwirken. Jeder dieser Faktoren ist Voraussetzung dafür, dass ein kreativer Prozess entstehen und gelingen kann: Kompetenz, Offenheit (die auch Austausch ermöglicht), Freiraum (physisch, wirtschaftlich, strukturell), Vertrauen (als Grundlage für Entscheidungen und den Mut, diese zu treffen), Systematik (als Fähigkeit des Sammelns, Filterns, Bewertens von Daten, Informationen, Materialien etc.), Begeisterung (Herausforderungen erkennen und annehmen) und letztlich Wahrnehmung (die auch Inspiration ermöglicht). Wenn diese Bedingungen gegeben sind, kann der kreative Prozess in Gang kommen und sich als Kreislauf entfalten: Von der Exploration über die Reduktion zum Werk mit den Prinzipien „Offenheit“, „Wahrnehmung“ und „Reflexion“ im Zentrum. Die Exploration stellt die Komplexität fest, innerhalb der sich Kreativität entfaltet und erkundet diese. Die Reduktion entsteht durch entschiedene Arbeit an der Einfachheit und das Werk ist das Ergebnis dieses Prozesses, das aus diesem Kreislauf heraus entstehen kann.
Was können Musik und Klang bewirken?
Bei der Frage nach dem, was Musik und Klang bewirken können, waren wir uns sehr schnell einig, dass sich ihre Wirkung in einem inneren Raum entfaltet. Dieser Raum spannt sich auf zwischen unterschiedlichen Gegensätzen und deren Kombinationen: schnell – langsam, hoch – tief, laut – leise, warm – kalt, harmonisch – disharmonisch, konsonant – dissonant etc.
Musik und Klang gestalten diesen akustischen Raum, der durch das Hören unmittelbar einen inneren Raum in uns entstehen lässt, der assoziativ belegt wird und uns persönlich mit sich trägt. Die Per-Son im Sinne eines durchtönten Individuums findet sich in der und durch Musik und Klang in einer anderen Welt wieder. Wir lassen uns durch Musik und Klang entführen, das Sirenenhafte, Verführerische von Musik und Klängen kommt nicht von ungefähr. …
Da Musik uns unmittelbar berührt, ist sie ein Medium, das unser Vertrauen leicht gewinnt und dem wir unser Vertrauen auch gerne schenken. Ich kann mich in die Musik fallen lassen, erfahre in ihr Zugehörigkeit und kann mich als in ihr ganz aufgehoben wahrnehmen. Dies kann meine Selbstgewissheit stärken und das Gefühl der Identifikation nähren. Nicht umsonst haben Nationen ihre Hymnen und Marken ihre Sounds.
Musik kann - ebenso wie Klang - Authentizität demonstrieren, Zuversicht schaffen und Hoffnung geben. Sie kann einen Einklang erzeugen, Heilung und Freude bewirken, sie kann unmittelbar glücklich machen. Sie fordert meine Haltung ein und gibt mir Halt. Sie kann anregend oder entspannend wirken und ist insofern auch eine Dienerin, indem sie Stimmungen verstärkt oder ihnen entgegen wirkt. Musik als Therapeutikum.
Musik kann aber auch betrügen und täglich werden Milliarden Menschen von ihr an der getäuscht: Wir sind ganz in ihr und dabei nicht bei uns. Sie betäubt uns und lässt uns vergessen, was wir noch alles in ihr und außer ihr und durch sie wahrnehmen könnten. Sie ist oftmals zu stark für uns oder wir sind zu schwach um uns ihr zu entsagen. Die Musikindustrie kann ein Lied davon singen und tut dies in aller Entschiedenheit. Musik als Droge.
Aus der Frage, was Musik und Klang bewirken können, entstand die Idee zu einer Übung, mit der wir diesen Workshoptag abschlossen: Wir stellten uns in einen Kreis und folgten dem Impuls von drei Kursteilnehmern, die jeweils einen Ton zu singen begangen. Bald schon stimmten die anderen darauf ein und jede(r) Teilnehmer(in) begann zu singen, zu tönen – lang gezogene, kurze, tiefe, hohe, laute, leise, statische, bewegte, melodiöse Töne – insgesamt spürten und hörten wir alle Klänge und Töne in uns und um uns, die aus jedem von uns und von jedem von uns kamen und sich zu einem schwebenden Klangteppich formten. Man entdeckte auch die Möglichkeit, still in diesem Klang zu sein.
Und so klang unser zweiter Workshoptag „Forschende Kunst2: Musik“ mit einem archaischen Klang-Erlebnis aus.
Die Teilnehmer vergewisserten sich in einer ersten Rückbesinnung auf den ersten Workshop ihrer Fähigkeiten und ihrer Möglichkeiten. Im bewusst unmoderierten Gespräch entfaltete sich wie von selbst eine Bestandsaufnahme, bei der die Heterogenität, aber auch die Qualität und das Potenzial der Gruppe spürbar waren. Es galt, angesichts der Unwägbarkeit unseres Tuns nicht den Mut zu verlieren und darauf zu vertrauen, dass unsere Fähigkeiten, unsere Interessen und Motivationen zu etwas führen - uns auf etwas stoßen, das wir noch nicht kennen. Wir bewegten uns deutlich spürbar auf unbekanntem Terrain. In solchen Momenten gilt es, die Sinne zu schärfen für das, was ist und worauf wir vertrauen können.
Das Thema „Musik und Klang“ war dabei ein hilfreicher Kompass, denn beim Ab-Sehen von Bekanntem und beim Ein-Stimmen in das Hör- und Fühlbare übten wir uns in der Wahrnehmung innerer und äußerer Prozesse, die uns begegnen und durchdringen. Es ereignete sich eine gesteigerte Aufmerksamkeit beim langsamen Voranschreiten in geistig-seelischen Zonen, die keine Namen haben und keine Begriffe kennen. Wir spürten jenseits unseres Wissens und Wahrnehmens eine Energie, die unsere Neugierde mehr und mehr anregte. Wir gingen in Resonanz zum Unbekannten und wurden dabei selbst Musik.
Natürlich konnten wir uns bei aller poetischen Inspiration nicht ganz von herkömmlichen Begriffen und Kategorien frei machen – doch schien da etwas Unbestimmtes auf und klang beinahe unvernehmbar aus der Ferne, was die sprachliche Arbeit hart an die Grenze des Sagbaren trieb. Bedeutungen lösten sich auf, formierten sich neu, Inhalte waren nicht mehr definiert, sondern verflüssigten sich. Konturen verschwammen und setzten sich neu zusammen. Was berührte uns da? War es Halluzination, Täuschung oder Erkenntnis? Im wilden Gemenge der Meinungen, Strebungen und Begriffe begannen wir uns aufs Neue als Personen wie als Gruppe zu formieren. Wir nahmen die Leere hinter dem Unvermuteten an und entdeckten darin uns selbst in unserer Freiheit – im variablen Rahmen unserer Möglichkeiten. So erkannten wir uns und fingen jetzt erst eigentlich mit uns und unserer Arbeit an.
Diese eher unbewusst ablaufenden Vorgänge nahmen an der Oberfläche erhellende und Aufhorchen lassende Formen an: Wir tauschten uns aus über die Möglichkeiten der Musik im Hinblick auf Innovation, diskutierten über Musik als vielleicht einzige Kunstform, die unmittelbar die Gefühle bewegt, übten uns in phänomenologischen Betrachtungen, reflektierten die Bedeutung des Flow-Zustands für die kreative Praxis und loteten am Beispiel der Lyrik die Beziehungen und Unterschiede der Musik zu anderen Kunstformen aus.
Alessandra Brisotto:
Die Musik des Blickes
Die Musik des Blickes,
in meinen unermesslichen Zellen
zwischen den jungen Lippen und der antiken Hand
weit weg von mir
von meinem Geben,
springt alt und Säugling
wie Gras
La musica dello sguardo
La musica dello sguardo,
nelle mie cellule immense
tra le giovani labbra e le antiche mani
lontano da me
dal mio donare,
salta vecchia e neonata
come erba
Bei alledem verging die Zeit schneller als gedacht. Wir erkannten, dass jetzt der Moment gekommen ist, uns in der noch verbleibenden Zeit dem Konkreten, Reproduzierbaren und Festhaltbaren zuzuwenden.
Die vorherigen, wie im Flug vergangenen Gespräche hatten den bemerkenswerten Effekt, dass sie – im Nachhinein betrachtet - die nächste Phase vorkonfigurierten, ohne dass wir dies angestrebt hätten.
Hier scheint ein Forschungsgegenstand auf, dem wir uns zu gegebener Zeit noch genauer widmen sollten: Es gibt eine Selbsttätigkeit des Geistes, die im freien, offenen Austausch unter Menschen ideale Bedingungen vorfindet und die sich – sofern man ihr genügend Raum gibt – mit reichen Impulsen in uns rührt und durch uns zum Ausdruck kommt. Der Mensch als „Klang-“Körper für einen geistigen Raum, dessen Resonanz sich unter anderem in Sprache, Musik und Klang niederschlägt. Der Geist kondensiert quasi im dialogischen Prozess. Vielleicht könnte man so Inspiration verstehen lernen.
Konkret hatten wir die Eingebung, die weiteren Betrachtungen auf drei Fragestellungen zu fokussieren: Was kann Musik in Zukunft (sein)? Wie arbeitet ein Musiker? Und: Was können Musik und Klang bewirken? Damit kamen drei Aspekte kommender Auseinandersetzungen und damit mögliche Fokussierungen in den Blick - theoretisch, methodisch und praktisch.
Im Übergang zur und als Einstimmung in die Bearbeitung dieser Aspekte brachten wir – einer spontanen Eingebung folgend - die Zentrifuge als den uns gegebenen und umgebenden Raum zum Klingen: Durch Klopfen, Schlagen, Streichen, Zupfen, Klatschen, Ziehen, Drücken, Drehen, Dehnen und viele weitere Bewegungs- und Berührungsvariationen erzeugten wir Resonanzen mit vorhandenen Gegenständen im Raum. Ein zentrifugales Orchester entstand wie aus dem Nichts.
Was kann Musik in Zukunft (sein)?
Bei der Frage, was Musik in Zukunft (sein) kann, lag eine – wenigstens skizzierte - historische Einführung nahe. Umrisshaft wurde die Musik als ein sich über Jahrhunderte hinweg eher langsam und konventionell entwickelndes System erkennbar, das seit dem 20. Jahrhundert dynamisch ausdifferenziert wurde – bis hin zu Dekonstruktion, Neukonfiguration, Entfremdung und Auflösung.
Die „klassische“ Musik begab sich in immer komplexere, „Musik“-fernere Sphären und wurde zunehmend hermetisch. Parallel dazu überflutete eine eingängige „leichte“ Musik als Konsumgut den medial vermittelten Klang- und Bewegungsraum: Musik als Glücks-Vortäuscher und Anästhetikum. Hinzu kommt die Erweiterung der musikalischen Möglichkeiten durch Computer und Internet.
In dieser Gemengelage scheint es zwei Hauptströmungen zu geben: Musik als Konsumgut, das der Ablenkung und Betäubung zugunsten des Profits dient und einem Starkult huldigt. Und Musik als für das ungeschulte Ohr befremdlich wirkender Ausdruck bewusster Gestaltung jenseits eines massenpsychologisch kalkulierten Personenkults – ganz dem Experiment, dem interkulturellen Austausch und den technischen Möglichkeiten zugeneigt.
Vielleicht befinden wir uns gegenwärtig an der Schwelle zu einem neuen System der Musik, das sich im und durch das Netz entfaltet und im Austausch und in Abgrenzung mit weltweit erzeugten Klängen, Sounds und Instrumentierungen ganz neue Hörerlebnisse und damit auch Zustände des In der Welt Seins ermöglichen wird. Die Aufmerksamkeit und das geschulte, bewusste Hören bis hin zu technischen Erweiterungen des Gehörs (Implantate, Frequenz-Wandler, Sonification) werden neue Wahrnehmungen schaffen, tiefe Identifikationen, aber auch Differenzierungen und damit Erkenntnisse ermöglichen und damit elementar an Bedeutung gewinnen.
Vielleicht steht eine Metamorphose der Musik überhaupt an, sofern sie sich als zutiefst berührende und geistig-emotional tragende Kunstform entpuppt, die weit mehr transportiert als „nur“ Klang, Bewegung und Rhythmus. Musik ist vielleicht DIE Sprache der Zukunft. Musik als künftige Heimat des global zu sich und zur Welt kommenden Menschen. Welt als Musik.
Wie arbeitet ein Musiker?
Bei der Betrachtung des kreativen Prozesses unter der Fragestellung „Wie arbeitet ein Musiker?“ wurde schnell klar, dass sich die Fragestellung auf alle möglichen kreativen Prozesse übertragen lässt. Auch ist dabei offen, ob der Prozess individuell oder kollektiv zu verstehen ist, da er sich immer schon in einem kommunikativen Raum abspielt und somit zwischen den Polen „Individuum“ und „Gruppe“ changiert. Die im kapitalistischen System zentrale Frage nach dem Urheber stellte sich in unserem rein auf Erkenntnis und Innovation ausgerichteten Kontext nur am Rande, bleibt aber natürlich präsent angesichts potenzieller Verwertungsansprüche im Hinblick darauf, was zu entwickeln ist, um die Welt eben gerade von blinden, gewaltsamen, fehlgesteuerten, fremdbestimmten und ohnmächtigen (Verwertungs-)Zusammenhängen zu befreien.
Der kreative Prozess wird ermöglicht durch eine Vielzahl von Faktoren, die in unterschiedlichen Phasen mehr oder weniger stark aufeinander einwirken. Jeder dieser Faktoren ist Voraussetzung dafür, dass ein kreativer Prozess entstehen und gelingen kann: Kompetenz, Offenheit (die auch Austausch ermöglicht), Freiraum (physisch, wirtschaftlich, strukturell), Vertrauen (als Grundlage für Entscheidungen und den Mut, diese zu treffen), Systematik (als Fähigkeit des Sammelns, Filterns, Bewertens von Daten, Informationen, Materialien etc.), Begeisterung (Herausforderungen erkennen und annehmen) und letztlich Wahrnehmung (die auch Inspiration ermöglicht). Wenn diese Bedingungen gegeben sind, kann der kreative Prozess in Gang kommen und sich als Kreislauf entfalten: Von der Exploration über die Reduktion zum Werk mit den Prinzipien „Offenheit“, „Wahrnehmung“ und „Reflexion“ im Zentrum. Die Exploration stellt die Komplexität fest, innerhalb der sich Kreativität entfaltet und erkundet diese. Die Reduktion entsteht durch entschiedene Arbeit an der Einfachheit und das Werk ist das Ergebnis dieses Prozesses, das aus diesem Kreislauf heraus entstehen kann.
Was können Musik und Klang bewirken?
Bei der Frage nach dem, was Musik und Klang bewirken können, waren wir uns sehr schnell einig, dass sich ihre Wirkung in einem inneren Raum entfaltet. Dieser Raum spannt sich auf zwischen unterschiedlichen Gegensätzen und deren Kombinationen: schnell – langsam, hoch – tief, laut – leise, warm – kalt, harmonisch – disharmonisch, konsonant – dissonant etc.
Musik und Klang gestalten diesen akustischen Raum, der durch das Hören unmittelbar einen inneren Raum in uns entstehen lässt, der assoziativ belegt wird und uns persönlich mit sich trägt. Die Per-Son im Sinne eines durchtönten Individuums findet sich in der und durch Musik und Klang in einer anderen Welt wieder. Wir lassen uns durch Musik und Klang entführen, das Sirenenhafte, Verführerische von Musik und Klängen kommt nicht von ungefähr. …
Da Musik uns unmittelbar berührt, ist sie ein Medium, das unser Vertrauen leicht gewinnt und dem wir unser Vertrauen auch gerne schenken. Ich kann mich in die Musik fallen lassen, erfahre in ihr Zugehörigkeit und kann mich als in ihr ganz aufgehoben wahrnehmen. Dies kann meine Selbstgewissheit stärken und das Gefühl der Identifikation nähren. Nicht umsonst haben Nationen ihre Hymnen und Marken ihre Sounds.
Musik kann - ebenso wie Klang - Authentizität demonstrieren, Zuversicht schaffen und Hoffnung geben. Sie kann einen Einklang erzeugen, Heilung und Freude bewirken, sie kann unmittelbar glücklich machen. Sie fordert meine Haltung ein und gibt mir Halt. Sie kann anregend oder entspannend wirken und ist insofern auch eine Dienerin, indem sie Stimmungen verstärkt oder ihnen entgegen wirkt. Musik als Therapeutikum.
Musik kann aber auch betrügen und täglich werden Milliarden Menschen von ihr an der getäuscht: Wir sind ganz in ihr und dabei nicht bei uns. Sie betäubt uns und lässt uns vergessen, was wir noch alles in ihr und außer ihr und durch sie wahrnehmen könnten. Sie ist oftmals zu stark für uns oder wir sind zu schwach um uns ihr zu entsagen. Die Musikindustrie kann ein Lied davon singen und tut dies in aller Entschiedenheit. Musik als Droge.
Aus der Frage, was Musik und Klang bewirken können, entstand die Idee zu einer Übung, mit der wir diesen Workshoptag abschlossen: Wir stellten uns in einen Kreis und folgten dem Impuls von drei Kursteilnehmern, die jeweils einen Ton zu singen begangen. Bald schon stimmten die anderen darauf ein und jede(r) Teilnehmer(in) begann zu singen, zu tönen – lang gezogene, kurze, tiefe, hohe, laute, leise, statische, bewegte, melodiöse Töne – insgesamt spürten und hörten wir alle Klänge und Töne in uns und um uns, die aus jedem von uns und von jedem von uns kamen und sich zu einem schwebenden Klangteppich formten. Man entdeckte auch die Möglichkeit, still in diesem Klang zu sein.
Und so klang unser zweiter Workshoptag „Forschende Kunst2: Musik“ mit einem archaischen Klang-Erlebnis aus.